Es sollte eine ganz normale Zweitagestour von Hurghada nach Luxor werden. Ich als deutschsprachiger Ägyptologe freute mich wie immer, neuen Gästen mein Land zu zeigen. Was ich damals nicht wusste: Ich sollte in diesen zwei Tagen mehr über menschliche Psyche lernen als in jedem Buch über Ramses II.
Tag 1: Aufbruch mit All-Inclusive-Philosophie
Schon bei der Abholung um 4:30 Uhr sah ich ihn: Herrn S., Anfang fünfzig, mit ernstem Blick und einer Bauchtasche, die er behandelte wie einen Tresor.
Neben ihm seine stille Ehefrau, die immer so wirkte, als würde sie am liebsten in den Boden versinken. Dann die Tochter – freundlich, jung, fröhlich – und ihr Freund, ein stiller Jugendlicher mit grauem T-Shirt und Handy-Konsum im Stundenmodus.
Beim Einsteigen flüsterte mir Herr S. fast verschwörerisch zu:
„Zwei Tage, ja. Aber wir haben alles dabei – Snacks, Wasser, sogar Tee. Nur nicht, dass uns einer was aufdrängen will.“
Ich dachte mir noch: Na gut, der wird schon auftauen.
Karnak-Tempel & der tragische Anblick von Käse-Ecken
Die Fahrt nach Luxor verlief ruhig. Die Landschaft wurde goldener, der Nil erschien am Horizont – und ich begann mit meiner Führung.
Im Karnak-Tempel angekommen, war ich voll in meinem Element.
Alle hörten interessiert zu – außer Herr S.
Er zählte stattdessen heimlich, wie viele Wasserflaschen seine Familie noch hatte.
Beim Anblick des gigantischen Hypostyl-Saals murmelte er zu seiner Frau:
„Sind halt alte Säulen. Ich mein, schön, aber dafür nach Luxor?“
An einem Verkaufsstand wollte die Tochter ein Souvenir kaufen.
Der Vater schob sie sanft zurück und sagte:
„Mach einfach ein Foto. Erinnerungen kosten nix.“
Mittagessen mit Theater
Zum Mittagessen ging’s ans Nilufer – ein wunderschönes Restaurant mit offenem Buffet.
Die Gäste freuten sich, holten sich frisch gegrilltes Hähnchen, Reis, Gemüse, Datteln.
Nur Herr S. holte aus seinem Rucksack:
Vier Cracker, zwei Käseecken und… ein Teebeutel.
Sein Kommentar:
„Sicherheitshalber. Weiß man ja nie, wie das hier gewürzt ist.“
Die Tochter errötete. Der Freund sah zum ersten Mal vom Handy auf – mit einem Ausdruck, als hätte man ihm gerade gesagt, dass das WLAN für immer aus ist.
Abend im Hotel – das große Schweigen
Am Abend checkten wir in ein charmantes Hotel in Luxor ein. Schön gelegen, freundliches Personal, gutes Abendessen.
Die meisten Gäste gingen noch spazieren, manche tranken Tee auf der Terrasse.
Herr S.? Er ging direkt aufs Zimmer – mit einer Tüte Cracker.
Am nächsten Morgen beim Frühstücksbuffet fragte ihn der Kellner höflich, ob er Rührei wolle. Die Antwort:
„Wir sind nur eine Nacht hier, lohnt sich nicht. Wir essen im Bus.“
Der Moment der Wahrheit: Trinkgeld
Nach zwei spannenden Tagen (für die anderen!) ging’s zurück nach Hurghada.
Der Fahrer, wie immer freundlich, hatte sich perfekt um alles gekümmert. Er trug Taschen, sorgte für Wasser, spielte auf Wunsch deutsche Musik.
Als wir am Hotel ankamen, wartete er höflich auf ein kleines Trinkgeld.
Herr S. schaute kurz – und sagte trocken:
„Wir haben im Voraus bezahlt. Das war doch alles im Preis, oder?“
Meine Reaktion? Nur noch menschlich.
Ich war sprachlos. Die Tochter wollte dem Fahrer etwas zustecken, doch Herr S. schob sie weg.
Da hab ich selbst meine Geldbörse gezogen, dem Fahrer Trinkgeld gegeben und gesagt:
„Bruder… der Kunde hat dich mir dagelassen. Nimm ihn als Souvenir – ich nehm beim nächsten Mal lieber einen Händler aus dem Basar mit.“
Der Fahrer lachte. Ich auch. Aber erst, als ich alleine war.
Fazit:
Manche Gäste hinterlassen keine Spuren im Sand – sondern tiefe Furchen in der Seele.
Aber heute lache ich darüber.
Und wenn du, lieber Leser, mal in Ägypten bist – denk dran:
Ein kleines Trinkgeld bringt große Freude. Und verhindert, dass dein Reiseleiter durchdreht.
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